Backstage-Interview mit Jörg Draeger

Backstage-Interview mit Jörg Draeger

Jörg Draeger moderierte von 1992 bis 2003 die Kult-Gameshow „Geh aufs Ganze“ mit den drei Toren, zahlreichen farbigen Umschlägen und dem legendären ZONK-Plüschtier. Im Rahmen meiner FOCUS-Online-Experten-Kolumne durfte ich Jörg nun persönlich kennen lernen und interviewen. Weil das backstage-Gespräch äußerst spannend und umfangreich wurde entstanden daraus gleich zwei Stories, die im Rahmen meiner Kolumne kürzlich erschienen sind. In diesem Blog-Eintrag möchte ich ein paar Auszüge aus dem Interview zeigen und zugleich sein neues Buch als Lese-Empfehlung vorstellen. Aber erst einmal der Reihe nach…

Backstage-Interview Teil 1: Jörg Draeger gibt Einblicke hinter die Kulissen von „Geh aufs Ganze“

Porträt Jörg Draeger
Porträt Jörg Draeger (Foto von Jörg Draeger privat)

FOCUS-Online: Inwiefern haben der Zonk und Ihre Game-Show „Geh aufs Ganze“ Ihr Leben geprägt?

Jörg Draeger: Ich habe über den ZONK meine Frau kennen und lieben gelernt. Und bin jetzt in vierter Ehe bereits 27 Jahre verheiratet. Wir haben zwei Kinder, einen Jungen (25) und eine junge Dame (20).

Und was man auch offen sagen kann: Ich habe dadurch einen alten Traum teilweise wiederherstellen können. Ich wollte eigentlich ans Theater und Dramaturg werden. Ursprünglich hatte ich deshalb Germanistik und Theaterwissenschaft studiert. Bei einer ersten Probe bin ich dann aber von Fritz Kortner, einem der damals ganz großen Regisseure, darauf hingewiesen worden, dass ich hier den völlig falschen Beruf gewählt hätte. Das hat mich dann sehr umgehauen.

Ich habe anschließend durch viele Umwege bei Zeitungen, beim Radio und dann auch irgendwann beim Fernsehen Erfahrungen gesammelt. Anfangs beim Fernsehen waren es Nachrichten … so habe ich dann erneut Bühnenluft geschnuppert und dann kam diese wunderbare Geschichte mit dem ZONK. Das war 1990. Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass das genau mein Ding ist. Also der Zonk und ich sind eine Symbiose. Ich habe diese Sendung geliebt ohne Ende. Und wenn man etwas liebt, dann gelingt einem auch vieles, was einem normalerweise nicht gelingen würde.

FOCUS-Online: Lassen Sie uns da mal darauf eingehen. Wie kamen Sie eigentlich damals als Moderator zur TV-Sendung „Geh aufs Ganze“?

Jörg Draeger: Meine letzte Station vor dem Fernsehen war Radio Hamburg, da war ich Moderator und Chef vom Dienst. Irgendwann kam dann ein Berater um die Ecke und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, ins Fernsehen zu wechseln. Das wollte ich damals allerdings überhaupt nicht machen, denn in meiner Ära war es einfach sensationell, Radio zu machen!

Heute muss ein Moderator alles machen: Er muss die Werbung abfahren, er muss die Musik abfahren, er muss alles machen! Früher bist Du hinter einer großen Panorama-Scheibe gesessen und hast Deinen Leuten ein Zeichen gegeben, wenn Du mal etwas sagen mochtest. Das war wunderbar.

Ich habe mich dann aber überreden lassen, weil die Gehaltsstufe halt doch deutlich höher war. (lacht) Das war dann das erste Regional-Fenster von SAT.1 und hieß damals „Wir im Norden“. Die Reichweite war Schleswig-Holstein, Niedersachsen und logischerweise eben auch Hamburg. Ich bin dann aufgrund nicht so ganz schlechter Arbeit in das Hauptprogramm von SAT.1 übergewechselt. Dort habe ich dann die Hauptnachrichten auch immer im Wechsel moderiert. Zudem war ich dort ebenfalls als Chef vom Dienst tätig. Dann kam etwas um die Ecke, was mir völlig gegen den Strich ging. Dadurch stellte sich mir die Frage „entweder oder…“ und wenn mir jemand diese Frage auftischt, bin ich schon weg, bevor der „oder“ gesagt hat.

Ich bin dann also von SAT.1 weg und hatte dann das Angebot vom ZDF bekommen. Dabei ging es um die Moderation eines Mittagsmagazins, welches damals noch in Mainz produziert wurde, aber auch schon auf dem Sprung nach Berlin war. Daraufhin habe ich erst einmal um Bedenkzeit gebeten und habe mich auf meine Lieblingsinsel Sylt zurückgezogen und bekam dann die Anfrage von Martin Kraml, dem neuen Geschäftsführer/Programmchef von SAT.1. Der wollte mich zu SAT.1 zurückholen, denn SAT.1 war nun im Begriff nicht nur Nachrichten, sondern auch Unterhaltung zu machen. Er hatte mich dann so lange bekniet und ich habe dann große Lust darauf entwickelt jetzt Unterhaltung zu machen. Dann war ich in Berlin und die Unterhaltung war angesagt, aber es passierte leider nichts, weil keine Formate da waren. Und dann habe ich das Frühstücks-Fernsehen gemacht, damals mit Wolf-Dieter Hermann, dem Kollegen der auch Bingo gemacht hat.

Dann kam eine Anfrage, ob SAT.1 an dem amerikanischen Format „Let‘s make a Deal“ interessiert sei. Man hat mich nach München geschickt und gebeten das Format anzuschauen und zu entscheiden, ob das etwas für SAT.1 sei oder nicht. Verbunden damit war dann die Auflage des Programmchefs „Wenn Du sowieso schon mal in München bist, dann lass Dich doch auch mal casten, denn vielleicht ist das ja auch etwas für Dich.“ So, dann bin ich da hin, habe gecastet, habe die Sendung bekommen und 1991 sind wir dann mit der ersten Folge von „Geh aufs Ganze“ on Air gegangen.

FOCUS-Online: Wie war das dann vor so einer TV-Show für Sie? Hatten Sie mit Lampenfieber zu kämpfen?

Jörg Draeger: Bis zur letzten Sendung. Also ich habe immer Lampenfieber gehabt. Dabei ist man ehrlich gesagt sehr zweigeteilt. Ich kenne viele Kollegen, die Lampenfieber haben und das aber nie zugeben würden. Ich sage da immer, dass es kein Problem ist Lampenfieber ehrlich zuzugeben. Wenn sich das Lampenfieber in Grenzen hält, finde ich es sogar gut, weil Du auf diese Weise eine völlig andere Spannung hast, als wenn Du völlig abgefuckt bist und das nach 500 Sendungen aus Gewohnheit runterspulst.

Mein Problem war damals allerdings, dass ich wirklich so gezittert habe. Die Knie haben gezittert, jedoch konnte man das gut mit einer weiten Hose kaschieren. Das Problem wurde dann allerdings stets größer, wenn sich das Zittern dann auf die Arme und die Hände sowie das Mikrofon ausgebreitet hatte … Das war für mich wirklich sehr, sehr heftig. Das war dann nicht nur Lampenfieber, das war Angst. Und ich erinnere mich an eine wunderbare Geschichte. Da war ich jedoch noch beim Radio. Da bin ich mal nach Gelsenkirchen, genauer gesagt nach Schalke geschickt worden. Ich durfte Charlie Neumann, den damaligen Platzwart und großen Motivator von Schalke 04, interviewen. Wir saßen dann da gemeinsam auf der Tribüne und irgendwann sagte die Fußball-Ikone Charlie Neumann zu mir: „Hör mal Junge, gib mir das Mikrophon, denn Deine Hand zittert so, dass Du mir damit dauernd auf die Zähne kloppst.“ (lacht)

Dann hat er mir das Mikrophon aus der Hand genommen und hat selbst reingeredet. Mit der Zeit habe ich das extreme Lampenfieber dann schnell hingekriegt, aber ich habe ehrlich gesagt auch heute noch Lampenfieber. Wenn ich zum Beispiel eine Gala moderiere, habe ich Lampenfieber. Aber ich denke das ist eine Art Spannung, die man braucht, um authentisch zu bleiben.

FOCUS-Online: Was sind Ihre Tipps, wie man das Lampenfieber in den Griff bekommt?

Jörg Draeger: Ich glaube das ist sehr individuell. Deshalb fällt es mir schwer hier einen allgemeinen Rat zu geben.

Also mir persönlich hat folgendes Ritual geholfen: Ich hatte damals vor jeder Sendung alle aus meiner Garderobe rausgeschickt und mich vor den Spiegel gestellt. Anschließend habe ich versucht mein Selbstbewusstsein zu formen, indem ich mir zugeredet habe, dass ich das schon schaffen würde, dass es eine geile Sendung sei, ich das alles sowieso toll finde und die Leute mich lieben. Ich habe mir selbst suggeriert, dass ich keine Angst haben darf! Das kannst Du aber nicht ganz unterdrücken.

Wie gesagt auch bei einer Gala geht es mir heute noch so. Da gibt es diesen einen berühmten Moment: Du stehst noch hinter einem Vorhang und irgendwann geht dann der Vorhang auf. Da muss ich erst einmal kräftig nach Luft schnappen. Das ist vergleichbar mit einem Fußball-Torwart: Wenn Du den ersten bereits nicht halten kannst und er reingeht, dann kannst Du eigentlich gleich vom Platz gehen, denn dann wird das nichts mehr. Und wenn Du den ersten aber parierst, dann sieht das anders aus.

Also wie reagiert das Publikum zu Beginn auf Dich bei Deiner Begrüßung? Schaffst Du es gut anzukommen? Gelingt es Dir, dass das Publikum klatscht oder lacht? Oder was auch immer helfen kann: Gelingt es Dir einen nostalgischen Moment aufzubauen, indem Du eine nette Geschichte erzählst? Diese verschiedenen Formen der Rückkoppelung helfen Dir dabei zu merken, dass Du ankommst. Die Selbstsicherheit kommt dann plötzlich ganz von allein.

Wenn Du den vollständigen ersten Teil des Interviews mit Jörg Draeger lesen möchtest, dann folge diesem Link in einem neuen Fenster: (Zum vollständigen Interview mit Jörg Draeger auf FOCUS-Online.) Im weiteren Verlauf dieses ersten backstage-Gespräches geht es darum, welche besondere Geschichte hinter dem ZONK-Plüschtier steckt, was aus der Sicht des Gameshow-Masters die unvergesslichste Erinnerung an die TV-Show ist und wie realistisch die Chancen auf eine Neuauflage der Gameshow ist.

Backstage-Interview Teil 2: Jörg Draeger über seine Reisen auf dem Jakobs-Weg

Delia Grösch und Jörg Draeger
Delia Grösch und Jörg Draeger haben nun gemeinsam ein Buch geschrieben. (Foto von Delia Grösch)

FOCUS Online: Welches war der beste Ratschlag, den Sie je bekommen haben?

Jörg Draeger: Fürs gesamte Leben würde ich sagen: gleich zwei Ratschläge von meiner Großmutter Wilhelmine. Ich habe sie ohne Ende geliebt! Sie war eine Bezugsperson für mein ganzes Leben und hatte mir immer wieder diese beiden Ratschläge mit auf den Weg gegeben.

Erstens: Lieber Jörg, die Spitze zu erklimmen und zu erreichen ist nicht ganz so schwer. Egal ob beruflich oder privat. Die Spitze auf Dauer zu halten, das ist das Problem.

Zweitens hatte meine Großmutter mir immer gesagt, dass wann immer ich das Gefühl habe, dass etwas richtig ist, ich dies dann auch tun soll. Und dann sang sie mir dabei immer vor: „Schmiede das Eisen, solange es noch warm ist. Schmiede das Eisen, solange es noch glüht …“ Dann hat meine Großmutter selbst immer gelacht. Dieses Lied hat sie mir dann immer in den verschiedensten Situationen als Antwort auf meine Fragen vorgesungen. Das war wirklich ganz großartig und hat mich in den verschiedensten Momenten angeleitet.

Und der beste Ratschlag hinsichtlich „Geh aufs Ganze“ aber auch all meinen Event- und Gala-Aktivitäten kam von dem Engländer Tony Grooner. Er ist für mich so etwas wie der Papst von „Geh aufs Ganze“. Er bereitete mich auf die Stimmung der Spielshow vor. Nicht so sehr auf Spiele oder Requisiten, sondern einfach auf den Geist der Sendung. So sagte er zum Beispiel: „Jörg, you are the magician! Du bist der Magier! Und Du musst der Magier sein! Und bedenke dabei immer eines: K I S. („Keep it simple!“ – also „Lass es ganz einfach“). Das haben wir dann auch immer wieder gemerkt. Über die ganzen vierzehn oder fünfzehn Jahre waren es immer die einfachsten Spiele, die das Salz in der Suppe waren.

FOCUS Online: Angenommen wir veranstalten heute einen Spiele-Abend: In welchen Spielen halten Sie sich für nahezu unschlagbar? 

Jörg Draeger: Würfeln. Warum? Sag ich Ihnen ganz kurz: Mein damaliger Regisseur Michael Bentele hatte mir damals ein Buch namens „Der Würfler“ geschenkt. Dieses Buch wurde von dem Psychologen Luke Rhinehart geschrieben. Rhinehart war ein Psychiater in Beverly Hills. Er hatte zwei Villen, einen Jaguar und einfach alles. Irgendwann wurde ihm dann langweilig und er öffnete sich plötzlich ganz neue Türen, indem er dem Würfel auf einmal Entscheidungen überließ. Also sagen wir mal bei eins, zwei und drei lasse ich mich scheiden. Bei vier und fünf suche ich mir eine Geliebte und bei sechs bleibt alles so, wie es ist. Diesem Credo ist er dann auch beinhart gefolgt.

Das Buch ist wunderbar! So bin ich zum Würfeln gekommen und habe dann aus diesem Buch ein eigenes Spiel entwickelt, was ich bis heute immer noch spiele. Außerdem gewinne ich auch ziemlich sicher bei Domino.

FOCUS Online: Man kennt Sie als einen Meister des Zockens. Wie risikofreudig sind Sie im echten Leben? 

Jörg Draeger: Also, wenn es in seiner Konsequenz nur mich betrifft, sehr risikofreudig. Wenn die Konsequenz im Negativ-Fall zum Beispiel auch die Familie betreffen würde, überhaupt nicht risikobereit. Da gilt dann nur Sicherheitsdenken. Was wir haben, das haben wir. Wie wir uns fühlen, so fühlen wir uns. Ich würde zum Beispiel nicht mit Aktien oder Fonds handeln. Überhaupt nicht. Hauptsache gesund. Hauptsache sicher.

FOCUS Online: Und haben Sie bei Ihren Entscheidungen auch schon mal die Würfel einbezogen?

Jörg Draeger: Ja.

FOCUS Online: War das Ergebnis dann gut oder schlecht?

Jörg Draeger: Angefangen habe ich damals mit der Frage, wohin ich zum Essen gehen werde: Wenn die eins oder die zwei fällt, gehe ich zum Griechen. Wobei ich eigentlich lieber zum Italiener wollte … Also bekommt dieser die Zahlen drei, vier und fünf. Zum Jugoslawen will ich eigentlich gar nicht, deshalb bekommt der die sechs. Dann würfelte ich und musste natürlich  auch machen, was der Würfel vorgab. Er nahm mir ja die Entscheidung ab. Das gehört zum Credo des Würflers: Du musst nicht jede Entscheidung dem Würfel überlassen, aber wenn, dann musst du auch folgen!

Ein anderes Beispiel geht zurück auf die Zeit zwischen 2006 und 2007. Da hatte ich die erste Anfrage vom Dschungelcamp bekommen. Wir lebten damals auf Teneriffa. Wenn man zwei Kinder hat, die beide zur Schule gehen, dann gehst man als Vater nicht ins Dschungel-Camp. Schließlich kann es ja schiefgehen! Aber mein Sohn sagte: „Papa geh in den Dschungel und spiel mir den Tarzan!“ Der fand das natürlich geil. Ich selbst konnte mir das aber nicht vorstellen und dann habe ich gesagt: Lass uns das auswürfeln.

Parallel dazu hatte ich Hape Kerkeling gelesen – seinen Bestseller „Ich bin dann mal weg“. Und so haben wir dann um die beiden Alternativen gewürfelt. Die Chancen waren 50 zu 50. Die Zahlen eins, drei und fünf waren der Dschungel und zwei, vier und sechs waren der Jakobsweg. Ich habe dann auch nicht getrickst, sondern einfach gewürfelt. Die Entscheidung fiel dann auf den Jakobsweg. Das war 2007 und die Bedingung war: Wenn es der Jakobsweg wird, läuft mein Sohn mit. Und dann bin ich – von 2007 beginnend – bis 2019 dreizehn Mal den Jakobsweg gelaufen.

FOCUS Online: Was waren dann so die Lektionen, die Sie auf dem Weg für sich selbst mitgenommen haben?

Jörg Draeger: Ich schinde mich total mit dem Rucksack und laufe dann mindestens sechshundert Kilometer. Manchmal sogar mehr. Du bist da dann wirklich am Ende. Du hast Blasen, es tut dir alles weh. Du entwickelst Sehnsüchte nach Hause. Es ist wirklich richtig heftig. Aber man ist halt einfach drei Wochen oder gar vier Wochen mit sich alleine. Du beschäftigst dich in diesen vier Wochen mit ganz zentralen Fragen: Wer bin ich? Wo komme ich her? Was habe ich falsch gemacht? Was soll ich besser machen? Ist jetzt das, was mein Leben ausmacht, genau das was ich immer wollte? Es sind immer die gleichen Fragen. Es sind immer die gleichen Antworten. Und vielleicht gibt es auch keine Lösung.

FOCUS Online: Viele pilgern den Jakobsweg aus religiösen Gründen. Wie war das bei Ihnen?

Jörg Draeger: Ich bin zwar im katholischen Spanien groß geworden, aber papiermäßig bin ich Protestant. Wie immer ich das jetzt formulieren möchte, so kann ich nicht sagen, dass ich an das Universum oder an Gott glaube. Wenn ich bete (und ich bete viel), dann sage ich „Lieber Gott“ und manchmal sage ich „Universum“. Das wechselt. Aber ich bin überzeugt, dass da jemand oder etwas ist und weit über uns steht.

Ich bin nicht so versessen, dass ich sagen würde: Es gibt eine Reinkarnation und ich am dritten Tage wieder aufstehe. (lacht) Leider nicht. Aber ich glaube, dass da etwas ist, das unser aller Leben bestimmt. Ich rede mit ihm, wenn ich laufe. Deshalb weiche ich anderen Pilgern aus und versuche allein zu sein. Abends brauche ich dann ein nettes Hotel, da will ich keine Herberge. Da brauche ich meine Lammkeule und meinen Rotwein. Dabei sitze ich manchmal bis zwölf oder ein Uhr und latsche am nächsten Morgen erst um zehn Uhr los. Aber während ich laufe, will ich allein sein und dann rede ich mit ihm.

Silvester gibt es eine spanische Sitte, bei der man mit den zwölf Schlägen eine Weintraube isst und sich mit jeder Weintraube von Gott etwas wünschen darf. Jetzt fragen Sie sich mal, wie schnell man diese Weintrauben futtern muss damit man alle zwölf Wünsche unterkriegt. Das funktioniert nicht. Der spanische Lebensmittel-Handel hat daraufhin kleine Döschen erfunden, in denen zwölf geschälte Weintrauben drin sind. Das heißt: Man kann sich mit dem ersten Glockenschlag die ganze Dose reinkippen und sich dann zwölf Mal etwas wünschen. Aber das schafft man ehrlich gesagt auch nicht! Und daraus ist bei mir etwas geworden, wodurch ich gesagt habe, okay wenn ich schon die ganze Zeit mit ihm rede, dann will ich mir auch etwas wünschen. Aber es kann ja nicht einseitig sein. Ich muss ihm dann dafür auch etwas versprechen. Von der spanischen Sitte ausgehend habe ich dann gesagt, dass wir halbe-halbe machen. Ich nenne ihm sechs Wünsche, die mir am Herzen liegen und verspreche ihm sechs Dinge zu tun, von denen ich glaube, dass er will, dass ich das tue. Oder eben, dass ich Dinge lasse, von denen ich denke, dass sie ihm missfallen. Daraus ist dann im Prinzip ein Spiel geworden.

FOCUS Online: Was für Erfahrungen haben Sie bei diesen Spielen mit Gott gemacht?

Jörg Draeger: Irgendwann war die Freundin meiner Frau an Blutkrebs erkrankt und suchte einen Spender. Zu dieser Zeit lag sie bereits im Krankenhaus und es sah relativ hoffnungslos aus. Sie war Kosmetikerin und Jérôme Boateng ließ sich damals nur von dieser Freundin behandeln. Er hat sich dann im Netz eingeschaltet und einen Blutspender für sie gesucht.

Ich habe daraufhin eine ganz bestimmte Kirche auf dem Jakobsweg aufgesucht. Das ist die Kirche, in der ich sozusagen meine Wünsche loswerde. Schließlich ist der Rummel in der Kathedrale in Santiago de Compostela nicht besser als der Rummel in Rüdesheim am Rhein. Es ist natürlich eine tolle Kathedrale, aber dadrin ist sehr viel los. Aber auf halbem Weg habe ich eine kleine Kirche gefunden, wo man die Votivkerzen noch selbst mit der Hand anzündet. Bei anderen Kirchen ist es jetzt meistens so, dass es da eine riesengroße Käseglocke gibt, da sind dann zwanzig elektrische Kerzen drin – und je nachdem, wie viel Geld man reinwirft, gehen auf einen Schlag fünf, zehn oder zwanzig an. Das kann man knicken. Wenn du eine Votivkerze mit einem Streichholz oder deinem Feuerzeug selbst anzündest, hast du ein völlig anderes Gefühl. Auf diese Weise habe ich dann auch für einen Blutspender gebetet, ja geradezu gefleht.

Als ich dann nach Hause kam, teilte mir meine Frau mit, dass ihre Freundin einen Blutspender gefunden hatte. Vier Wochen später ist sie dennoch gestorben. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, dass ich zwar um einen Blutspender gebeten habe, aber den Wunsch nicht präzise genug formuliert hatte. Anstatt zu notieren, dass sie bitte überleben darf, hatte ich ja nur um einen Spender gebeten.

Und das, was ich zigmal versprochen und nicht konsequent eingehalten habe, waren Wünsche, die nicht erfüllt wurden. Also wenn ich zum Beispiel mit dem Rauchen aufhören wollte und dann kaum, als ich zuhause ankam, wieder anfing … Ja, der da oben scheint auch eine Art Würfler zu sein. Eine Art Spieler, der mich so beim Wort nimmt, wie ich auch an sein Wort glaube. An das glaube ich ganz fest.

Wenn Du den vollständigen zweiten Teil des Interviews mit Jörg Draeger lesen möchtest, dann folge diesem Link in einem neuen Fenster: (Zum vollständigen, zweiten backstage-Interview mit Jörg Draeger auf FOCUS-Online.) Im weiteren Teil des Interviews wird enthüllt inwiefern auf dem Jakobs-Weg betrogen wird. Zudem erzählt Jörg Draeger von der Entstehung seines Buches.

Buch-Tipp: Jörg Draeger & Delia Grösch „Das Leben ist (k)ein Zonk

Zum Abschluss dieses Backstage-Interviews möchte ich Jörg Draegers Buch „DAS LEBEN IST (K)EIN ZONK“ empfehlen. In diesem Werk gibt TV-Legende Jörg Draeger auf zahlreichen Seiten tiefe Einblicke in seine Karriere-Laufbahn. Persönlich, authentisch und zugleich sehr unterhaltsam. Gemeinsam mit seiner Co-Autorin Delia Grösch beschreibt er die Etappen seines bisherigen Lebens.

Buch-Tipp - Das Werk von Jörg Draeger und Delia Grösch
Buch-Tipp – Das Werk von Jörg Draeger und Delia Grösch.

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